Erfahrungsbericht von einem Betroffenen

Als selbst Betroffener einer Zwangserkrankung will ich in diesem Bericht gerne über meine Erfahrungen im Umgang mit dieser Krankheit berichten. Die Zwänge begleiten mich bereits etliche Jahre und haben mich zeitweise so stark gefangen genommen, dass es mir nicht mehr möglich war, einen „normalen“ Alltag zu führen. Dank therapeutischer Unterstützung und nach viel, zum Teil hartnäckiger Arbeit kann ich aber zum jetzigen Zeitpunkt erfreulicherweise sagen, dass es mir sehr gut geht und ich einen „normalen“ Alltag leben kann, auch wenn die Zwänge noch nicht ganz weg sind. Auch ist es mir wieder möglich, mein Studium, das ich aufgrund der Zwänge zwischenzeitlich abbrechen musste, weiterzuführen. Mir ist es ein grosses Anliegen, anderen Betroffenen mit diesem Bericht Mut zu machen, dass man dem Zwang nicht machtlos ausgeliefert sein muss und dass es sich lohnt, gegen die Zwänge vorzugehen. Es gibt Auswege aus dieser Krankheit. Es erfordert ein gewisses Mass an Eigeninitiative, viel Arbeit und Geduld.

Rückblickend hat die Krankheit bei mir schon in der Kindheit angefangen, mit nur milden Symptomen. In der Adoleszenz sind die Zwänge dann zeitweise wieder ganz verschwunden. So richtig ausgebrochen ist die Krankheit bei mir vor zirka 6 Jahren - mit Beginn meines Studiums. Begleitend habe ich in dieser Zeit auch eine Depression entwickelt. Damals war ich sehr verzweifelt und habe mich teilweise tagelang im Bett verkrochen. Allerdings habe ich dann ziemlich bald professionelle psychiatrische Hilfe gesucht, bin aber an einen Therapeuten gelangt, der sich mit Zwängen leider nur schlecht auskannte und so bin ich nicht wirklich weiter gekommen. Aus diesem Grund habe ich versucht, mich per Internet über meine Krankheit schlau zu machen und nach Therapiemöglichkeiten zu suchen. So bin ich auf der Homepage der Schweizerischen Gesellschaft für Zwangsstörungen gelandet, von wo ich Adressen von Fachpersonen in der Behandlung von Zwangserkrankungen gefunden habe, an die ich mich dann auch recht bald gewandt habe.

Das war ein sehr wichtiger und hilfreicher Schritt. Da war jemand, der wusste wovon ich sprach und vor allem auch wusste, wie man Zwänge behandeln kann. Das hat mich natürlich unheimlich motiviert und wir haben mit einer Verhaltenstherapie und einige Zeit später auch mit Expositionstraining begonnen. Zusätzlich habe ich eine medikamentöse Therapie angefangen. Anfangs war ich den Medikamenten gegenüber etwas skeptisch, habe aber bisher sehr gute Erfahrungen gemacht und denke, dass sie auch einen wichtigen Beitrag zur Besserung leisten. Des Weiteren habe ich während gut 2 Jahren in einer angeleiteten Selbsthilfegruppe mitgemacht, was vor allem in der Anfangszeit sehr hilfreich war für mich. Einerseits war es tröstend, dass andere mit sehr ähnlichen Problemen zu kämpfen haben - oft hat man als Zwangserkrankter doch das Gefühl, der einzige mit dieser Krankheit zu sein. Andererseits war es auch extrem hilfreich, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und anderer Meinungen zu hören sowie von den Erfahrungen anderer zu profitieren.

Schlussendlich hatten die Treffen auch eine schöne soziale Komponente. Nicht zuletzt war und ist es mir sehr wichtig, dass mein näheres Umfeld über meine Krankheit informiert ist und ich nicht alles „verheimlichen“ musste. Natürlich muss nicht jeder zur Fachperson werden, aber mir erscheint es doch sinnvoll, wenn zumindest das nähere Umfeld über die Krankheit etwas Bescheid weiss oder sogar die eine oder andere einem nahestehende Person mal an einem (Info)-Gespräch mit dem Therapeuten teilnimmt. Vielleicht kann so auch ein Schritt in Richtung Enttabuisierung dieser Krankheit getan werden.

Ich kann nicht genau sagen, welcher der oben aufgeführten Punkte mir am meisten geholfen hat. Vielmehr denke ich, dass es ein Zusammenspiel verschiedener Vorgehensweisen war. Es gibt also Auswege aus dem Zwang. Es gab auch immer wieder Rückschläge und schwierige Momente, in denen ich gezweifelt habe, nicht zuletzt auch an mir selber. Es hat sich aber gelohnt, Energie und bewusst auch Zeit für die Therapie zu investieren. Mich persönlich hat auch ein geplanter stationärer Aufenthalt in einer Klinik ein beträchtliches Stück weitergebracht. Ich hatte Zeit, wirklich an der Verminderung der Zwänge zu arbeiten. Ein stationärer Aufenthalt muss nicht für jeden sinnvoll sein, aber mir hat’s geholfen.

Gerne will ich jetzt noch ein paar Worte zu meinen Erfahrungen mit dem Expositionstraining schreiben, einem wichtigen Puzzlestein in der ganzen Therapie. Wie wahrscheinlich allen Zwangserkrankten hat auch mir nur schon der Gedanke an ein Expositionstraining grosses Kopfzerbrechen bereitet - schon Tage im Voraus. Aus diesem Grund möchte ich gerne ein paar Punkte aufführen, die mir geholfen haben, die Expositionen doch zu machen. Ganz wichtig ist wohl die Begleitung durch eine/n ausgebildete/n Therapeutin/en, die/der einen unterstützen und negative Gefühle, die bei einer Exposition unweigerlich auftreten, auffangen kann sowie einen zu motivieren vermag. Dies setzt natürlich ein Vertrauen in die/den Therapeutin/Therapeuten voraus. Positive Berichte über Expositionstrainings anderer Betroffener haben mich zusätzlich motiviert. Auch eine motivierende Unterstützung aus dem Umfeld ist sehr sehr hilfreich. Nebst all den negativen Gefühlen von Trauer, Aerger oder Anspannung, die während eines Trainings auftraten, gab es für mich auch eine gewisse befreiende Komponente.

Endlich bekam ich eine Idee, wie befreiend es sein kann, wenn man sich plötzlich der angstmachenden Situation aussetzen kann, ohne sie gleich wieder mit einem Zwang neutralisieren zu müssen. Und wenn man einmal die Erfahrung gemacht hat, dass man die negativen Gefühle aushalten kann und sie auch wieder verschwinden ohne den Zwang ausgeführt zu haben, geht es bei der nächsten Uebung vielleicht schon ein wenig leichter. Schlussendlich braucht es aber die Motivation und Bereitschaft, ein gewisses Risiko einzugehen, wenn man sich einer Exposition stellen will. Ich glaube, daran führt „leider“ kein Weg vorbei, wenn man ein erfolgreiches Expositionstraining machen will. Gedanken wie folgender haben mir jeweils etwas geholfen: „Ich habe meine Zwänge so was von satt und bin deshalb bereit, auch etwas zu riskieren, um sie loszuwerden.“ Natürlich durfte auch eine Belohnung - bei mir war es häufig ein feines Dessert - nach dem Expositionstraining nicht fehlen. Schliesslich ist man danach oft fix und fertig und man hat ja richtig was geleistet.

Ich hoffe, mit diesem Erfahrungsbericht, dem einen oder anderen Leser einen hilfreichen Input gegeben zu haben und wünsche allen Betroffenen, Angehörigen und Therapeuten viel Ausdauer und Erfolg beim Bekämpfen der Zwänge.