Kinder und Jugendliche
Zwangsstörungen können bei Kindern und Jugendlichen auftreten und haben einen signifikanten Einfluss auf ihr Leben und das ihrer Familien. Es ist wichtig, dass Eltern und Betreuungspersonen wissen, wie sie ihre Kinder und Jugendlichen unterstützen können, wenn diese an einer Zwangsstörung leiden.
Fast alle Kinder zeigen zwischen drei und elf Jahren vielfältige Rituale und abergläubisches Verhalten. Dies ist Teil einer normalen Entwicklung und lässt normalerweise ab dem Alter von acht Jahren allmählich wieder nach. Gewohnheiten und Rituale vermitteln Struktur und Sicherheit, indem sie uns Entscheidungen abnehmen. Wenn das Ausüben solcher Rituale jedoch zu einer Einschränkung im Alltag führt, empfiehlt es sich frühzeitig unterstützung zu suchen.
Zwangsstörungen beginnen bei Kindern häufig im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren. Ein früherer Beginn ist möglich, aber relativ selten. Betroffen sind etwa ein bis vier Prozent der Kinder, wobei Jungen im Kindesalter etwas häufiger erkranken, ab der Pubertät sind Jungen und Mädchen etwa gleich häufig betroffen. Häufigste Zwangshandlungen sind Wasch- und Putzzwänge, gefolgt von Kontroll-, Wiederholungs-, Ordnungs- und Zählzwängen. Häufigste Zwangsgedanken sind Angst vor Verschmutzung, Verseuchung, aggressive und gewalttätige Vorstellungen, Angst vor eigenen und fremden Verletzungen sowie religiöse Zwangsgedanken.
Untersuchungen zufolge treten Angst- und Zwangsstörungen in einer Familie oft gehäuft auf. Die genaue Ursache hierfür ist allerdings noch unklar. Man geht davon aus, dass genetische Faktoren und Umweltbedingungen jeweils eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Zwangsstörungen spielen. Familiäre Schwierigkeiten – wie etwa der Tod eines Familienangehörigen oder die Trennung der Eltern – sind für Kinder häufig mit Angst und Unsicherheit verbunden und können unter Umständen ebenfalls als Auslöser für eine Zwangsstörung fungieren. In sehr seltenen Fällen können Zwangsstörungen bei Kindern und Jugendlichen mit einer Autoimmunreaktion nach einer Infektion in Verbindung stehen.
Die kognitive Verhaltenstherapie ist eine sehr wirksame Behandlungsmethode zur Behandlung von leichten bis mittelschweren Zwangsstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Bei einer schweren Form kann zusätzlich eine medikamentöse Therapie durchgeführt werden. Die meisten Zwangsstörungen bei Kindern und Jugendlichen können ambulant behandelt werden. Handelt es sich um sehr schwere Beeinträchtigungen durch die Zwänge und/oder leidet das Kind unter weiteren psychischen Störungen, so ist ein stationärer oder teilstationärer Aufenthalt durchaus ratsam.
Jedes Kind und jeder Jugendliche ist anders. Insofern sind allgemeingültige Verhaltensempfehlungen natürlich nur sehr begrenzt möglich. Grundsätzlich haben sich beim Umgang mit zwangserkrankten Kindern und Jugendlichen aber folgende Verhaltensweisen bewährt:
- Informieren Sie sich ausgiebig über Zwangsstörungen und deren Verlauf.
- Nehmen Sie diese professionelle Hilfe (Kinder- und Jugendpsychiater / Kinderpsychotherapeut) so früh wie möglich in Anspruch.
- Zeigen Sie Verständnis, dass Ihr Kind zuhause häufiger Zwangssymptome zeigt als woanders.
- Vermeiden Sie übermässig hohe Anforderungen und Ansprüche an Ihr Kind.
- Erziehen sie weiterhin ihr Kind und überprüfen sie regelmässig etwaiges Schonverhalten
- Überprüfen Sie kritisch Ihr eigenes Zwangsverhalten und lassen Sie sich gegebenenfalls professionell behandeln.
- Unterstützen Sie Ihr Kind nicht bei seinen Zwangshandlungen.
- Loben Sie Ihr Kind für Fortschritte und zeigen Sie Verständnis für Rückfälle.
Psychopharmakotherapie bei Kindern und Jugendlichen
Die Angaben beruhen auf den S3-Leitlinien sowie gemäss Angaben der Medikamentenhersteller nach compendium.ch.
Eine Zulassung zur Behandlung von Zwangsstörungen bei Kindern und Jugendlichen besteht derzeit nur für Sertralin ab dem Alter von 6 Jahren und für Fluvoxamin ab dem Alter von 8 Jahren. Obwohl für weitere SSRI wie Fluoxetin und Paroxetin eine ebenso gute Datenlage besteht, sind diese Medikamente für Zwangsstörungen nicht zugelassen und nur unter den Bedingungen des off-label use einsetzbar. Fluoxetin ist für die Behandlung von mittelschweren und schweren depressiven Störungen ab einem Alter von 8 Jahren zugelassen.
Sertralin und Fluvoxamin, gefolgt von Fluoxetin sollten somit primär für eine pharmakologische Behandlung bei einer Zwangsstörung erwogen werden.
Wirkstoff (SSRI) |
Zulassung CH |
Empfehlung SGZ für Kinder und Jugendliche |
Anfangsdosis mg/d |
Standard-Tagesdosis mg/d |
Citalopram |
nein |
ja |
20 mg |
20-40 mg |
Escitalopram |
nein |
ja |
5-10 mg |
10-20 mg |
Fluoxetin |
nein |
Ja |
10 mg |
20-60 mg |
Fluvoxamin |
Ja ab 8 Jahre |
Ja |
25 mg |
6-12 Jahre: 25-150 mg 13-17 Jahre: 25-200 mg |
Paroxetin |
nein |
ja |
20 mg |
20-60 mg |
Sertralin |
Ja ab 6 Jahre |
ja |
6-12 Jahre: 25mg 13-17 Jahre: 50mg |
50-200mg |
Entscheidungsgrundlage für die Verordnung eines SSRI sind im Kindes- und Jugendalter der Zulassungsstatus, die jeweiligen Nebenwirkungsprofile, pharmakokinetische Aspekte der Arzneistoffe sowie eventuell vorliegende koexistierende weitere psychische Erkrankungen des Kindes oder Jugendlichen.
Auch in Metaanalysen fanden sich keine signifikanten Unterschiede in der Wirksamkeit der verschiedenen SSRI bei Kinder und Jugendlichen mit Zwangsstörungen.
S3-Leitlinie für Diagnostik und Therapie von Zwangsstörungen im Kindes- und Jugendalter
Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. publizierte 2021 die S3-Leitlinie für Diagnostik und Therapie von Zwangsstörungen im Kindes- und Jugendalter. An deren Entwicklung waren auch Schweizer Fachpersonen beteiligt.